Queeres·Chaos·Kollektiv

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Die Geschichte der Personenstandsänderung in Österreich

von Julia

Für den queer History Month wollte ich die Geschichte der bisherigen Personenstandsänderung in Österreich durchgehen.

Da der Verein transx hierzu schon eine sehr gute Zusammenfassung mit hinterlegten Quellen ausgearbeitet hat, hielt ich es gut, mich hauptsächlich darauf zu stützen und selber dazu zu kommentieren. Meine Kommentare sind im Kursiv dazu geschrieben. Nun zum Thema:

Wusstet ihr, dass…

es in Österreich seit dem Personenstandsgesetzes von 1983 möglich ist, den eigenen Geschlechtseintrag zu ändern. Die Bedingungen für die Änderung regelte der sogenannte “Transsexuellenerlass”. Dieser Erlass setzte als Voraussetzung für die Personenstandsänderung ein Gutachten des Instituts für Gerichtsmedizin der Universität Wien voraus.

Dieses Gutachten musste folgende Sachen erweisen:

  • Punkt 1: Die antragstellende Person musste längere Zeit unter der ”zwanghaften Vorstellung” gelebt haben, dem anderen Geschlecht zuzugehören, was sie dazu veranlasst, sich geschlechtskorrigierender Maßnahmen zu unterziehen.
  • Punkt 2: Die Person musste Maßnahmen durchgeführt haben, welche zur deutlichen äußerlichen Änderung an das andere Geschlecht führen.
  • Punkt 3: Dass sich mit hoher Wahrscheinlichkeit das Zugehörungsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird.

Als aller erstes: Transsexualität ist ein veralteter Begriff, trans* sein hat nichts mit der Sexualität zu tun.

Zu Punkt 1: Allein schon die Formulierung “zwanghafte Vorstellung” klingt hier schon sehr pathologisierend. Weiters wird dieser Begriff auch nicht näher erläutert. Was ist zwanghaft und was nicht? Ab wann ist was zwanghaft?

Zu Punkt 2: Man merkt hier, dass die Formulierung hier sehr schwammig ist, und diese wird auch nicht näher definiert oder erläutert. Dies führt dazu, dass die Definition je nach Person unterschiedlich ausgelegt werden kann.

Das führte zu Folgendem:

Im Erlass wurde weder Sterilität (anders als das deutsche Transsexuellengesetz zu der Zeit), noch operative Eingriffe gefordert.

Allerdings setzte die damalige dafür zuständige Person auf dem gerichtsmedizinischen Institut (deren Name möchte ich an dieser Stelle nicht erwähnen) für die Bestätigung von Punkt 2 willkürlich, ohne rechtliche Grundlage, genitalanpassende Operationen voraus.

Von trans Frauen forderte sie die Entfernung des Penis und der Hoden, die Bildung einer Neovagina und Neoclitoris, nicht aber einen Brustaufbau.

Trans Männer wurden zur Entfernung der Gebärmutter, der Eierstöcke und der Brüste gezwungen. Ein Penisaufbau wurde ihnen nicht abverlangt.

Hier sieht man wieder einen klassischen Fall transphober Gewalt in der eine cis (also nicht trans) Person über Schicksale von trans Personen entschied.

So, das waren die Bedingungen zum Gutachten.

Weiters wurde im “Transsexuellenerlass” von 1983 festgelegt, dass die antragstellende Person die Kosten für das Gutachten selber übernehmen muss und dass eine BESTEHENDE EHE bei Personenstandsänderung ANNULLIERT wird.

1996 wurde die Regelung geändert: Ab da wurde verlangt, dass die antragstellende Person NICHT VERHEIRATET IST. Ansonsten konnte sie die Änderung nicht machen.

2006 hob der Verfassungsgerichtshof den “Transsexuellenerlass” auf. Er gab damit der Beschwerde von Sandra H. recht, der eine Personenstandsänderung aufgrund ihrer bestehenden Ehe verwehrt wurde.

Das Innenministerium stellte danach trotzdem nur Heiratsurkunden für “Mann” und “Frau” aus. Damit wurde der Geschlechtswechsel eines Partners offengelegt.

Diese Praxis wurde erst 2010 durch den Prozess von Michelle B. vom Verwaltungsgerichtshof gestoppt.

Seitdem werden pseudo-geschlechtsneutrale Heiratsurkunden ausgestellt. In diesen wird zuerst der (ehem.) Mann und die (ehem.) Frau genannt.

Nun gab es nach der Aufhebung vom “Transsexuellenerlass” keine definitive Regelung.

2007 wurde den Standesämtern von damaligen Innenminister Günther Platter in einer internen Weisung vorgeschrieben, dass Personenstandsänderungen zu genehmigen seien, wenn “ein psychotherapeutisches Gutachten UND DER BEFUND DER GESCHLECHTSANPASSENDEN OPERATION vorliegen.

Die Behörden setzten dann diesen Operationszwang um, wobei bis 2009 nicht definiert war, was überhaupt operiert werden musste. Dies wurde erst 2009 durch das BMI festgelegt.

2009 fochte Michaela P. diese Praxis an und der Verfassungsgerichtshof kippte dann den Operationszwang.

Trotz des höchst gerichtlichen Urteils zur Kippung des Operationszwang wurde die Personenstandsänderung von Michaela P. abgelehnt.

Ende 2009 wurde in einem anderen Verfahren die Personenstandsänderung von Monique D. (unter Berufung auf das BMI-Schreiben von 2007) ebenfalls abgelehnt, obwohl dies seitens des Verfassungsgerichtshofes nicht mehr rechtens war.

Erst nach intensiver Öffentlichkeitsarbeit und Amtsmissbrauchs Beschwerden seitens der beiden trans Frauen wurden die beiden Personenstandsänderungen bestätigt.

2010 hat das BMI endlich die Erlässe zwischen 2007 und 2010 aufgehoben. Mit demselben Schreiben wurde die Kompetenz für die Personenstandsänderung an die Länder übertragen.

Was wir eindeutig anhand der Historie sehen können, ist, dass trans Menschen willkürlich und komplett frei von Logik gesetzlich eingeschränkt und behindert wurden und werden.

Die Gesetze wurden und werden von cis Menschen geschrieben, die oftmals keinerlei Expertise dazu besitzen, wie es ist trans zu sein und welche Hürden das mit sich bringt.

Keine Lockerung kam von allein, sondern musste vor Oberstem Gericht eingeklagt werden.

Deshalb müssen wir weiterhin für Aufmerksamkeit sorgen und für unsere Rechte einstehen!

Alle Rechte, die wir heute haben, verdanken wir den Kämpfenden vor uns, und es ist unsere Pflicht, für die, die nach uns kommen, diese Rechte zu erhalten und zu verbessern!

Alerta Alerta Queerfeminista!

TO BE SEEN – queere Geschichte & Sichtbarkeit in München

von Felix Lene Ihrig

Queer History auf Social Media ist toll – Queer History im real life (aka Museum) ist noch spannender! Deswegen wollen wir euch heute eine Ausstellung empfehlen, die noch bis Mai in München zu sehen ist und viele wertvolle Einblicke für Queers und Non-Queers bietet.

TO BE SEEN widmet sich den Geschichten von LGBTIQ* in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.“ So beschreibt das NS-Dokumentationszentrum München deren aktuelle Ausstellung auf der dazugehörigen Homepage https://www.nsdoku.de/tobeseen. Felix war schon kurz nach der Ausstellungseröffnung im Oktober dort und möchte für euch reflektieren, ob die Ausstellung hält, was sie verspricht, und eine Entscheidungshilfe zur Frage, ob sich der Besuch lohnt, bieten.

Fangen wir mit dem Titel an – did I feel seen?

Auf sehr vielen Ebenen ja, auf manch anderen nein. Als Person, die Label ablehnt (sich für euer Verständnis, in diesem Text und zu diesem Zeitpunkt aber etwa so einordnen würde: weiß, großteils able-bodied, omnisexuell, transmaskulin, nichtbinär…), sind die Voraussetzungen, sich in queerer Geschichtsschreibung wiederzufinden, eher dürftig. Die Vielfalt der dargestellten Personen und der Tiefgang der einbezogenen Geschichten hat mich daher sehr freudig überrascht. Ich habe zum Beispiel gelernt, dass eine der ersten dokumentierten transaffirmativen Operationen noch vor 1900 eine Art Mastektomie war. Es wird besonders schön dargestellt, wie sich um die 1920er in Europa eine „queere Community & Kultur“ entwickelt haben, die sich vor allem an Einschlüssen und dem Bedürfnis von safe_r spaces ohne strikte Grenzziehungen zwischen Identitäten orientiert haben. Zu sehen, dass diese Personen weder die Ersten noch die Letzten waren, die sich solche Fragen gestellt und sich aktiv für ein „gutes Leben“ eingesetzt haben, hat mich gleichermaßen frustriert und euphorisch gestimmt. Wortwörtlich „begreifen“ zu können, wie „wir“ in manchen Fragen schon sehr viel näher an diesen Grundgedanken gekommen sind und in anderen eher 10 Schritte zurück gemacht haben, ist ein großer Pluspunkt dieser Ausstellung, die nicht nur zum passiven Anschauen einlädt.

Wie steht es um den Ausstellungsort?

Da es sich um ein gefördertes Dokumentationszentrum handelt, kann die Ausstellung kostenlos besucht werden. Das lädt eindeutig auch viele Non-Queers zum „mal Reinschauen“ ein und ist auch sonst einfach wunderbar. Besonders wenn eins von Innsbruck anreist (kleiner Hinweis: Gruppen-Bayern-Ticket lohnt sich). Und es zeigt ganz klar, wodurch die „10 Schritte zurück“ bedingt sind. Den einschränkenden Faktoren, welche die lebhafte queere Kultur der 1920er gezielt verdrängt haben, wird ein großer Teil der Ausstellung gewidmet. Dank klarer Unterteilung und entsprechenden Überschriften kann eins sich aber auf die schönen Aspekte der Ausstellung fokussieren, falls die Auseinandersetzung mit nationalsozialistischer & Holocaust-Geschichte zu belastend wäre (Pro-Tipp: nicht dem offiziellen Ausstellungspfad folgen, sondern gegenchronologisch durchgehen, dann endet eins mit Euphorie!).

Wie gelingt kritisch(e) queere Geschichte?

Die Ausstellung zeigt sehr schön, wie Gesellschaftskritik und Bildungsarbeit mit Kunst ausgedrückt werden können, was Archivarbeit für nachfolgende Generationen bedeuten kann und woran wir uns orientieren könnten, um das Rad nicht neu zu erfinden, sondern den Kampf unserer „chosen ancestors“ (also Wahl-Vorfahren) weiterzuführen. Es wird außerdem deutlich auf den ambivalenten Aspekt der Sichtbarkeit eingegangen. Wusstet ihr, dass es in den 1920ern einen „trans/crossdress Ausweis“ gab, welcher erniedrigende Polizeikontrollen ersparen sollte? Klingt nach einer super Sache… war es auch, bis die nationalsozialistische Regierung sich das entsprechende Register vorgenommen hat, um queere Menschen gezielt aufsuchen und bestrafen zu können. Diese tragische Wendung lässt mich seit dem Ausstellungsbesuch nicht mehr los und hat meinen kritischen Blick für aktuelle Entwicklungen geschärft. Einen entsprechenden Hinweis in der Ausstellung habe ich vergeblich gesucht. Auf nonmonosexuelle (z.B. bisexuelle), inter*, nichtbinäre und andere innerhalb der queeren Community marginalisierte Personen wird zwar in der Ausstellung eingegangen, jedoch nur wenig. Die intersektionale Auseinandersetzung mit dieser (andernorts oft systematischen) Verunsichtbarung gehört für mich zu einer kritischen, queeren Geschichtsschreibung dazu und dürfte gerne etwas deutlicher ausfallen.

Sichtbarkeit im Gestern wie im Heute – für morgen!

TO BE SEEN bereichert also nicht nur die Beschäftigung mit queerer Geschichte, sondern auch mit queerer Gegenwart und schafft Hoffnung, sowie Realismus für queere Zukunft. Es gibt in dieser Vielfalt an Inputs sicher für alle Gelegenheiten, um Neues zu entdecken, Bekanntes aufzufrischen oder den eigenen kritischen Blick zu schärfen. Felix empfiehlt und wünscht queer joy!

Ein Plädoyer für Queere Perversion

„Not Gay as in Happy, but Queer as in Fuck You“ ist ein Mantra, das ich schon seit meiner Jugend höre – aber erst vor einigen Jahren wirklich verinnerlichen konnte. Mit einer Leidenschaft und einem Trotz, die mein jugendliches Ich gleichermaßen überrascht und begeistert hätten.

Der Satz selbst spielt auf die Geschichte zweier englischer Worte an, die als Überbegriffe für unsere Communities und unsere Befreiungs-Bewegungen benutzt wurden.

Der erste: Gay, auf Deutsch meist mit schwul oder homosexuell übersetzt, wobei schwul nur einen Teil des Wortes ausdrückt und homosexuell seine eigenen Probleme hat. Gay ist ein kurzer und umfassender Begriff für gleichgeschlechtlich romantisch und/oder sexuell orientierte Menschen. Er bedeutete ursprünglich happy, oder glücklich/froh und hat somit – rein semantisch – eine positive Konnotation.

Queer hingegen wurde vor dem 20. Jahrhundert hauptsächlich im Kontext von seltsam, komisch, falsch verwendet und hat später auch pervers, unnatürlich impliziert. Also bestenfalls neutral, jedoch eher sehr negativ behaftet. Das ist einer der Aspekte, den Menschen – auch Angehörige der Community – heute kritisieren. Warum nennen wir uns so? Queer ist eine Beleidigung, ein Wort, das gegen uns verwendet wird.

Genau, das ist es – so wie jedes Wort, das uns jemals beschrieben hat. Ich wette, dass niemensch ein Wort finden kann, das uns beschreibt, aber nie als Schimpfwort gegen uns benutzt wurde. Deswegen ist die Bedeutung von queer so widerständig. Es lässt sich nicht einordnen, nicht kategorisieren, assimilieren. Und das ist der Kernpunkt – queer wie „ich passe mich dir nicht an“, queer wie „ich scheiß auf deine Norm“, queer wie „ich existiere, das ist in Ordnung so, und du hast nichts dazu zu sagen“, queer wie fuck you.

Deswegen benutze ich queer für mich und meine Community. Es ist das einzige Wort, das uns wirklich alle einschließen und gleichzeitig nicht begrenzen kann. Queere Identität ist ihr eigenes Biest, mit Nuancen und Widersprüchen. Und sie passt nirgendwo rein, ohne anzustoßen.

Das ist für viele von uns so. Ich bin eine fette inter*, nicht-binäre trans Person, die in der Punkszene groß geworden ist und habe zwar schon früh meine lesbische Identität entdeckt, jedoch lange genug den Rest nicht verstanden. Selten fühlte ich mich so gesehen wie unter anderen Freaks, die aus welchem Grund auch immer – Konsum, Aussehen, politische Einstellung, Queerness, Behinderungen, etc – unerwünscht waren. Viel des queeren Erstkontakts waren Butch Lesben, die in ihrer eigenen Community schräg beäugt wurden, Cosplayer die sich dezidiert als transsexuell bezeichneten, Drag Queens, Furries, junge Queers mit bunten Haaren oder wie wir uns damals nannten: Dyklings (Anm.: von Ducklings (Entenküken) und Dyke (eng. Selbstbezeichnung und Schimpfwort für Lesben)). Ich wünschte heute, ich hätte mich nicht so sehr abschrecken lassen und mir viel mehr Zeit mit Butch Lesben genommen, weil deren Gender-non-conformity so etwas Kämpferisches und Anziehendes hat. Viele dieser Gruppen hatten wenig Möglichkeit, sich anzupassen, selbst wenn wir es gewollt hätten.

Ich habe schon herausgestochen, bevor ich mir das erste Mal die Haare abgeschnitten habe. Ich war schon immer unerwünscht.

Doch je mehr Länder sich zumindest Themen wie Ehe für Alle annehmen, desto mehr Akzeptanz gibt es, und desto mehr Chancen kommen auf, sich anzupassen. Auf Englisch wird es Respectability Politics genannt, ein fachübergreifendes Konzept, das sich damit beschäftigt, zu welchen Standards marginalisierte Gruppen gehalten werden, um scheinbar akzeptiert zu werden. Es wurde als erstes von Evelyn Brooks Higginbotham im Rahmen von Black Liberation und Frauenbewegungen so benannt.

Unzählige Beispiele können dafür in verschiedensten Kontexten genannt werden – eine kurze Perspektive im Kontext von Anti-Black Rassismus findet ihr in The Rise of Respectability Politics von Fredrick C. Harris

Für queere Menschen, oder eher LGBT+ Menschen, sieht das meist so aus: dünne bzw. trainierte, weiße, konventionell attraktive Menschen zeigen, wie normal sie sind. Dass sie sind wie alle anderen, nur dazugehören wollen, nicht zu weit aus der Box raustreten, und diese hässlichen, unangepassten, anstößigen Queers mit ihrer sichtbaren Nicht-Konformität und Kinks und so weiter ja genauso doof und übertrieben finden. Ich will mich hier nicht über andere queere Menschen auslassen; es ist ein Schutzmechanismus, den Minderheiten überall schon lange nutzen, um selbst aus der Schusslinie zu kommen.

Von solchen Gefühlen her kommen auch Diskussionen, was denn bei der Pride angebracht ist, ob Kink einen Platz haben darf, und wer sich alles queer nennen darf. Ich war vor nicht allzu langer Zeit selbst nicht sicher, wie ich dazu stehen soll, welches Image wir als Community nach draußen projizieren wollen. Aber das ist eine Falle. Es ist toxisch für unsere Gemeinschaft, unseren Kampf und uns selbst. Es ist schlicht und einfach ahistorisch. Jede queere Bewegung lebte schon immer von denen, die am Rande oder ganz außerhalb der (feinen) Gesellschaft stehen. Leather Daddies, Dykes on Bikes, Kinksters, Crossdresser, Transsexuelle; ohne einander hätten wir heute nicht die Rechte, die wir haben. Und heute wollen wir sie rauswerfen, weil sie sich auf Social Media nicht so gut machen.

Für alle, die sich noch nicht sicher sind, vor allem junge Menschen: hört mir gut zu. Bedingte Akzeptanz ist keine Akzeptanz. Wir sind nie sicher, wenn unsere Existenz nur dann erlaubt ist, solange wir gewisse Grenzen nicht überschreiten. Und damit meine ich explizit die Leute, die bei euch teils Unbehagen verursachen. Menschen in vollem Kink Get-Up bei der Pride, in Fursuits, trans Menschen die nie Passing haben werden, die sich „cringey“ auf Social Media verhalten, hysterisch werden, psychische Erkrankungen, Neurodivergenzen oder Behinderungen haben, sich stereotypisch und „dramatisch“ verhalten, die konsumieren oder Sexarbeit machen. Alle, über die die Gesellschaft auch heute im besten Fall aktiv schweigt. Es ist ok, wenn ihr mal private Berührungsängste habt. Es ist auch in Ordnung, sich manchmal unwohl zu fühlen. Aber das darf nie darin ausarten, die verletzlichsten von uns auszuschließen und unsere Identitäten zu bereinigen zu versuchen, damit sie möglichst leicht verdaulich sind.

Queer ist absichtlich ein Wort, das keine genauen Grenzen hat. Ich werde sicher niemensch aufzuschlüsseln versuchen, was genau queer ist, ab wann Nicht-Monogamie oder Kink da reinfällt, und wer bei der Pride dabei sein darf. So viele wir auch sind, und so viel einfacher die Dinge geworden sind: wir sind von derselben erstickenden Normativität betroffen, die uns am liebsten ganz weg hätte. Und meint nicht, dass ihr nicht die nächsten wärt, wenn die anderen wegillegalisiert worden sind. Wir sehen es gerade in den USA; zuerst Drag Queens, als nächstes werden wieder alte Sodomie-Verbote (Anm.: Sodomie ist eine sehr abfällige Bezeichnung für Analsex, primär auf Sex zwischen Männern bezogen) in die politische Diskussion zurückgeholt.

Auf eine Weise queer zu sein, die viele einfach nicht verstehen und nicht als schön oder ansehnlich wahrnehmen, braucht mehr Mut als die meisten in ihrem Leben jemals aufbringen werden. Authentisch mensch selbst zu sein, auch wenn die Leute lachen und auf mensch spucken, ist einfach nur Punk. Deswegen werde ich mich jederzeit lieber zu den Freaks gesellen als in die „gehobene“ Gesellschaft. Die Freaks sind sowieso unendlich sexier. Und ich hoffe sehr, dass auch ihr nochmal tief in euch schaut und beim nächsten Pride daran denkt:

Gay oder Queer?

So oder so, fick deine Norm.

All-Gender Toiletten

Statement zur aktuellen Debatte um genderneutrale Toiletten an der Uni Innsbruck

Wie viele von euch bestimmt schon mitbekommen haben, hat es in den letzten Tagen eine Aktion von unbekannten Personen gegeben, die genderneutrale Beschilderung an Universitätstoiletten angebracht haben. Auf Social Media wurden Bilder von diesen Schildern gepostet, woraufhin die Uni Innsbruck dazu Stellung bezogen hat. Hier findet ihr diese Stellungnahme, um euch selbst ein Bild zu machen. Viele Personen haben diesen Anlass genutzt, um negative Aussagen über trans und nicht-binäre Personen zu tätigen.

Genderneutrale Beschilderung an einer Universitätstoilette

Wir wollen uns der Debatte nicht anschließen, sondern in unserem Statement auf das eigentliche Thema zurückkommen und betonen, weswegen geschlechtsneutrale Toiletten notwendig und sinnvoll sind. Der Gang auf die Toilette sollte für alle Menschen unkompliziert, in einem angemessenen Zeitfenster möglich und vor allem sicher sein. Trans, nicht-binäre und inter* Personen sowie Menschen, die nicht eindeutig feminin bzw. maskulin aussehen werden jedoch häufig verbal beschimpft und Opfer von Übergriffen, wenn sie eine der binär betitelten Toiletten benutzen.
Um allen Menschen also ein sicheres WC zu gewähren, sollte es ausreichend Optionen für alle geben. Es ist die erste und wichtigste Priorität, allen Menschen, unabhängig vom Geschlecht, den sicheren und unkomplizierten Gang zur Toilette zu ermöglichen. Ausreichend geschlechtsneutrale Toiletten sind der einfachste Weg, dies umzusetzen. Dass dies auch möglich ist, zeigt beispielsweise die Universität in Wien, die bis dato 22 All-Gender Toiletten an ihren Standorten eingeführt hat (hier die Infos dazu). Außerdem findet ihr hier einen Leitfaden der ÖH, der das Thema näher aufschlüsselt.

Unsere Forderung

Öffentliche Toiletten sind Voraussetzung, um in öffentlichen Räumen teilnehmen zu können. Ein Mangel daran bedeutet die Verdrängung aus dem öffentlichen Raum. Diesen Mangel auszugleichen ist ein kleiner Schritt, der schnell und unkompliziert durchgeführt werden kann und das Leben vieler Menschen stark vereinfacht.
An der Universität Innsbruck sind bisher 4 Toiletten offiziell geschlechtsneutral beschildert. Insgesamt gibt es jedoch 16 Gebäude mit 200 Toiletten. Das reicht nicht annähernd aus! Wir fordern deswegen: ausreichend All-Gender Toiletten, um den Gang zum WC für alle einfach und sicher zu machen.

Grundsatztreffen erste Runde

Fragt ihr euch, was wir so machen, wenn gerade kein Spaßtreffen, keine Trans Awareness Week oder ähnliche Events stattfinden? Naja, ganz viel Arbeit und Unfug, was denn sonst?! Wir haben Arbeitsgruppen und Teams für verschiedene Themen und Bereiche, wie Social Media, Demos und Kundgebungen, IT und Website, Beratung, Blogbeiträge, und was sonst noch alles anfällt. Aber auch wenn das Alltagsgeschäft weitergeht, wollen wir als Kollektiv unsere Grundsätze und Ziele nicht aus den Augen verlieren. Es gibt uns nun seit September, also bald vier Monate, und wir sind fleißig gewachsen. Deswegen ist es uns ein Anliegen, unsere Organisation zu verbessern, transparenter nach außen hin zu sein, und vor allem unsere Ziele und Grundsätze auf Papier zu bringen!

Deswegen haben am Montag, den 19.12.2022, unsere Grundsatztreffen begonnen. Als Mitglieder des Plenums treffen wir uns und besprechen Themen, die im Alltag eher untergehen. Wir sind bunt durchgemischt, aber es vereint uns auch vieles, und genau deswegen ist Kommunikation, gemeinsame Ideensammlung und Zielfindung so wichtig.

viele Post-Its, in verschiedenen Farben, mit Ideen zu unseren verschiedenen Themen, die wir bei unserem Grundsatztreffen erarbeitet haben, auf einer Wand

Wie ihr auf dem Foto seht, haben wir ganz viele Ideen und Ziele, und wollen diese auch, gemeinsam erreichen. Gestern haben Sarah und Katha den Abend für uns gestaltet, mit Spielen, Übungen und viel intensiver Diskussion und Kollaboration.

Einige der gestrigen Themen waren:

  • Unsere Organisationsstruktur
    Wie verteilen wir Aufgaben? Welche Arbeitsabläufe haben wir, und wie können diese verbessert werden? Was von unserer Arbeit, ist nach außen sichtbar? Welche Tools können wir benutzen?
  • Unsere Grundsätze
    Was wünschen wir uns? Für wen ist das Kollektiv? Wer ist noch nicht sichtbar? Wen können wir mehr ansprechen, und wie? Welche Ressourcen haben wir?
  • Umgang miteinander
    Wie gehen wir mit Konflikten um? Wie stellen wir sicher, dass alle inkludiert sind? Was machen wir, wenn Regeln gebrochen werden oder wir und widersprechen? Wie stellen wir sicher, dass wir fürsorglich und rücksichtsvoll miteinander umgehen?

In knappen drei Stunden sind wir ein ganzes Stück weitergekommen; viele Fragen, viele Ideen, viele neue Aufgaben und die Motivation, all das umzusetzen.

Aber gestern war nur der Anfang, weswegen wir jetzt noch keine Ergebnisse haben, die wir mit euch teilen können. Es wird noch einige Treffen zu diesen und vielen anderen Themen geben.

Am Ende wollen wir schwarz auf weiß unsere Ziele, Grundsätze und Organisationsstruktur geschrieben haben, die wir dann auch mit euch teilen werden, genauso wie den Weg dahin.

Klingt das für euch interessant? Dann schaut doch bei uns auf instagram @queereschaoskollektiv oder hin und wieder hier vorbei! Und wenn es euch Lust macht, auch aktiv zu werden, dann erreicht ihr uns unter info@qck.tirol oder auf instagram.

Wenn ihr uns kennenlernen möchtet, kommt doch zu Fear the Queer am 30.12.2022 um 19:00 im Cafe Lotta!

Wir freuen uns auf euch!

Trans Day of Remembrance 2022

Vier Banner und eine Flagge von vielen Kerzen umringt auf dem Straßenboden. Die Flagge ist eine Regenbogenflagge mit einem Pfeil nach rechts aus schwarzen, braunen, weißen, blauen und pinken Streifen sowie der inter* Flagge im Pfeil. Die Banner zeigen von links nach rechts: "Give Us Roses While We're Still Here" mit gemalten Rosen; "No Pride For Some Of Us Without Liberation For Some Of Us" mit der Regenbogen- Trans- Inter*- und Nichtbinär-Flagge; "Queeres Chaos Kollektiv est. 2022" auf einem Regenbogen als Kreis arrangiert; "Trans Liberation Now" mit Trans-Flagge und dem A in Trans als Anarchie-Symbol.

Der Trans Day of Remembrance findet seit 1999 immer am 20. November statt, um trans und genderdiversen Menschen zu gedenken, welche im vergangenen Jahr durch transfeindliche Gewalt ums Leben gekommen sind.

Das Queere Chaos Kollektiv organisierte anlässlich dieses Gedenktages eine Kundgebung und wurde von dem Feministischen Aktions Kollektiv und ArchFem tatkräftig unterstützt.

Es gab zahlreiche berührende Redebeiträge, unter anderem von Ronja vom QCK, Dora Sellner von der SOHO Tirol und dem QCK, einem Menschen von den IWW sowie anderen trans Menschen und Allies. Wir haben über Queer Rage, Trauer, Wut, Verlust, Gewalt gesprochen – jedoch waren Queer Joy, Gemeinschaft, Unterstützung, Liebe und Zusammenhalt ebenso stark, wenn nicht noch stärker, vertreten.

Es wurden 390 Namen von getöteten und verstorbenen trans und genderdiversen Personen verlesen. Besonders die Intersektion von Rassismus und Transfeindlichkeit ist hier hervorzuheben – ein Großteil der Verstorbenen waren transfeminine Personen und BIPOC, es liegt noch viel Arbeit vor uns.
Ca. 50 Personen waren anwesend, haben Solidarität gezeigt und sind als Gemeinschaft zusammengekommen. Es ist uns als Queeres Chaos Kollektiv besonders wichtig, die queere Community in Innsbruck sichtbar zu machen und zu vereinen. Wer Unterstützung oder Anschluss sucht, kann uns gerne auf Instagram oder per Mail kontaktieren.

Wir bedanken uns an dieser Stelle noch einmal sehr für die Unterstützung aller Organisationen und Einzelpersonen, sowohl in der Trans Awareness Week als auch am Trans Day of Remembrance. Gemeinsam sind wir am Lautesten, Stärksten und Schönsten!

Danke an das Greenoffice LFU, die VSSTÖ, das Café Weli, das Café Lotta und Lotta Kollektiv, die Bäckerei, ArchFem und jede einzelne Person, die etwas beigetragen hat oder einfach nur dabei war – bis zum nächsten Mal!

Aus gegebenem Anlass möchten wir hier noch auf den Fundraiser für die Opfer des Shootings in Colorado verweisen.

Wir waren zu Gast bei Freirad

Diese Woche waren Lui & Ronja von unserem Queeren Chaos Kollektiv zu Gast bei das mensch. gender_queer on air bei Freirad.

Die beiden erzählen vom Gründungsprozess des Kollektivs, unseren Grundsätzen, unserer antihierachischen Struktur und warum uns mehr Aktivismus und Austausch so sehr am Herzen liegt. Das vielfältige Programm der Trans Awareness Week wird noch einmal ausführlicher vorgestellt.

Hier geht’s zum Nachhören

An dieser Stelle ein herzliches Dankschön an das mensch. gender_queer on air für die Einladung. Wir haben uns sehr darüber gefreut! Und unser Dank geht an diser Stelle auch noch einmal an all unsere Kooperationspartner*innen, ohne die die Trans Awareness Week nicht in dieser Form möglich gewesen wäre!

Trans Awareness Week

Wir haben im August 2022 das Queere Chaos Kollektiv mit dem Ziel gegründet, Aktivismus und queeres Leben zugänglich, offen für alle, und präsent in Innsbruck und Tirol zu machen. Ein besonderes Anliegen war uns dabei auch, trans Personen und Lebensweisen zu zentrieren. 

Deswegen war eine der ersten Aktionen, die wir zu planen begonnen haben, die Trans Awareness Week in Innsbruck. Angelehnt an den Prager Pride wollten wir zusätzlich zur Kundgebung am Trans Day of Remembrance auch für die Trans Awareness Week Veranstaltungen planen, die sowohl der Information als auch Unterhaltung dienen. Dazu war unser Ziel, mit anderen Lokalen und Organisationen zu kooperieren, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Wir freuen uns, gemeinsam mit Greenoffice der LFU, Transgender Ambulanz Innsbruck, Weli, VSSTÖ, Renner Institut Tirol, Café Lotta, Fear the Queer und Die Bäckerei folgendes Programm vorstellen zu dürfen:

Es gibt Angebote für trans Menschen selbst, für Allies, für die, die es werden wollen, und für die, denen das ganze Thema noch neu ist. Mit den Veranstaltungen wollen wir Bewusstsein für trans Menschen und Lebensweisen schaffen, über den Themenbereich Trans aufklären, Einblicke in queeres Leben und queere Perspektiven geben, und Menschen die Chance eröffnen, Fragen zu stellen und sich einzubringen.

Wir möchten die Gelegenheit außerdem nutzen, unsere Anliegen und Forderungen an die Gesellschaft und die Politik anzubringen!

Trans Personen gab und gibt es schon immer, wir sind ein wertvoller und perspektivenreicher Teil der Gesellschaft, und dem Normdenken seit jeher ein Dorn im Auge. Trotz zunehmender Sichtbarkeit im öffentlichen Diskurs mangelt es noch immer an Strukturen, die für unseren Schutz, unsere Teilhabe, unsere Gesundheit und unsere Lebensqualität sorgen. Um sicherzustellen, dass jede trans Person in Österreich die Rechte und Anerkennung hat, die er*sie braucht, fordern wir: 

Politische Selbstbestimmung durch eine Reform des Personenstands- und Namensrechts und Öffnung des dritten Geschlechtseintrags

Die Änderung des Geschlechtseintrags soll unbürokratisch und vor allem depathologisiert werden. Es sollen keine teuren und invasiven Gutachten notwendig sein, sondern der Personenstand über eine persönliche Erklärung geändert werden. Außerdem soll der dritte Geschlechtseintrag für alle zugänglich sein, ob inter*, nicht-binär, trans, oder sonstig identifiziert. Wir fordern auch ein Ende für die veraltete Klausel, dass Vornamen dem Geschlecht angepasst sein müssen. 

Schaffung eines Ergänzungsausweises ähnlich des deutschen DGTI-Ausweises in Österreich

Die DGTI ermöglicht in Deutschland einen Ergänzungsausweis, auf dem das tatsächliche Geschlecht und der gewählte Name auch vor der offiziellen Personenstandsänderung aufscheinen. Ein solcher Ausweis beinhaltet z.B. die Reisepassnummer und kann als zusätzliches Identifikationsdokument benutzt werden, um Misgendern, Diskriminierung und Schwierigkeiten durch Diskrepanzen zwischen Erscheinungsbild und Geschlechtseintrag zu vermeiden. Wir fordern, dass ein solches Dokument auch in Österreich ermöglicht wird!

Ausweitung der medizinischen Versorgung für trans Personen und übergreifende Schulung der betreffenden Berufsgruppen

Wir benötigen dringend mehr geschultes Gesundheitspersonal, um die Versorgung von trans Tiroler*innen zu gewährleisten. Aktuell sind die Wartezeiten an der Transgender Ambulanz und bei Courage viel zu lang; zudem gibt es wenig niedergelassene Mediziner*innen, die das notwendige Wissen über trans Personen haben, um uns bei der Transition und im Alltag adäquat begleiten zu können. Wir fordern deswegen höhere Budgets für trans Versorgung und verpflichtende Schulungen zu trans Menschen für Mediziner*innen, vor allem Psychiater*innen, Therapeut*innen und Allgemeinärzt*innen. 

Sexualkunde
Immer mehr junge Menschen entdecken durch TikTok und andere Social Media Plattformen ihre eigenen queeren Identitäten. Wir beobachten, dass junge Menschen offener werden und mehr Möglichkeiten haben, sich auszudrücken. Um das zu reflektieren, ist es unabdingbar, trans und queere Existenz sowie die jeweiligen Bedürfnisse im Sexualkundeunterricht zu behandeln. Es darf nicht sein, dass queere Jugendliche auf eigene Faust nach Informationen über ihre sexuelle Gesundheit suchen müssen – vor allem, wenn die Norm sehr eng gehalten ist und damit auf eine geringe Menge an Menschen vollständig zutrifft. Umfassenden Sexualkundeunterricht für alle – jetzt!

Statistiken zu transfeindlicher Gewalt und Diskriminierung

Um zu visualisieren, wie unsere Situation in Österreich tatsächlich aussieht, fehlen oft Statistiken und Erhebungen. Wir fordern deswegen, dass trans und queere Menschen in demografische Statistiken explizit aufgenommen werden, vor allem, wenn es um Gewalt und Diskriminierung geht. Schluss mit der Unsichtbarkeit!


Natürlich sind das nicht alle Themen, die trans Leben betreffen – doch es sind die Anliegen, die für uns aktuell am drängendsten sind. 

Wir hoffen, dass du in der Trans Awareness Week, am Trans Day of Remembrance und im Alltag mit uns für Trans Akzeptanz einstehst und uns unterstützt. Wir danken dir dafür sehr herzlich und freuen uns, dich bei der einen oder anderen Veranstaltung zu sehen.

Trans Liberation Now!

Intersex Awareness Day – Geschichten aus einem unsichtbaren Alltag

Anlässlich des Intersex Awareness Days am 26. Oktober erschien ein Gastbeitrag einer inter* Person im FUQS Blog darüber, wo Intersex überall unsichtbar ist und warum wir Intersex Awareness weiterhin brauchen.

Begrifflicher Hintergrund

Die Begriffe Intersex oder Intergeschlechtlichkeit stammen aus dem medizinisch-pathologisierenden Diskurs , werden aber auch zunehmend von inter* Personen als empowernde Selbstbezeichnung reklamiert.1 Sie sind Überbegriffe für eine Vielzahl an „untypischen“ Formen der Entwicklung jener Körperanteile, die gesellschaftlich als vergeschlechtlicht betrachtet werden. Die Begriffe zeigen gleichzeitig, dass ein binäres Geschlechtermodell nicht nur gesellschaftlich problematisch, sondern auch biologisch falsch ist, bleiben diesem aber dennoch verhaftet, weil sie nur in Bezug zu diesem Modell funktionieren.2

Impressionen aus Ronja’s Alltag „zwischen Geschlechtern“

Das Bewusstsein für unsere Erfahrungen, unsere Traumata, unsere Anliegen und unser Dasein lässt selbst in progressiven Kreisen noch zu wünschen übrig. Wir seien so wenige, eine statistische Anomalie, es nicht wert, berücksichtigt zu werden. Es wolle uns niemand eine Identität auferlegen oder uns “zwingen”, uns als inter*, queer, “anders” zu definieren. Unsere Variationen seien nur einzelne Krankheitsbilder, nicht miteinander verbunden, “behandelbar”. Selbst dort, wo Wohlwollen und Solidarität da sind, herrscht Unsicherheit und mangelndes Wissen. Nichts davon ist die Schuld einzelner Personen, sondern der Ausdruck unseres allmächtig scheinenden Zweigeschlechtersystems, in dem alles außerhalb von cis Mann und cis Frau benachteiligt bis völlig verleugnet wird.

Worüber nicht gesprochen wird

Ich möchte heute nicht über meine Variation sprechen. Nicht, weil ich nicht stolz und glücklich über meinen Körper bin, oder Scham damit verbinde; diese habe ich nach langer, harter Arbeit ablegen können; sondern weil es oft das erste und einzige ist, was endogeschlechtliche Menschen über mich wissen wollen. Was da genau los ist, die medizinischen Details, unser Trauma, wie uns wehgetan wurde, warum das ein Problem sei. Deswegen sage ich Menschen nur selten, welche genaue Variation ich habe. Es geht sie nichts an. Ich werde mich nicht mehr rechtfertigen, warum ich denn anders bin, ob meine Abweichung ausreichend ist, oder ich doch gesellschaftlich in eine Box gezwungen werden kann, so wie es medizinisch auch im Jahr 2022 noch immer passiert. Denn selbst heute noch gibt es in Österreich keinen übergreifenden Schutz vor geschlechtsverändernden Eingriffen!

Klicke hier, um weiterzulesen.

Intersex Awareness Day 2022 – Ronja – Inter* Sein und Aktivismus

Im Folgenden lest ihr Ronjas Beitrag zum Intersex Awareness Day 2022. Dey spricht über deren Erfahrungen mit Inter* Sein, Community und Aktivismus. Ihr könnt diesen Beitrag auch auf Youtube finden.

Ich bin Ronja, ich bin 28, ich bin Wassermann, liebe Katzen und vegetarisches Essen, und ich bin inter*.

Diagnostiziert wurde ich mit ca. 24 Jahren. Natürlich nicht als inter*, sondern mit meiner Variation. Und hätte ich es nicht selbst gewusst, dann hätte mir auch niemand gesagt, dass ich inter* bin.

Aber ich wusste es, weil ich es seit ich ein Kind bin zu spüren bekommen habe. Ich war größer, haariger, muskulöser, verschwitzter als meine Klassenkameradinnen. Meine Pubertät verlief nicht so wie erwartet. Und ich wurde gnadenlos gemobbt. Als Frau akzeptiert wurde ich ohnehin nicht, nicht von gleichaltrigen – und selbst auf queeren Parties wurde mir ungefragt an die Brüste gegriffen um zu testen, ob sie echt sind.

Zum Glück war ich ein internet-Kind – ich habe viel Zeit auf Foren und in den Ecken, wo die Freaks sich rumtrieben verbracht. Ich habe gesucht und gesucht, was denn nun der Grund für alle meine Eigenarten war. Ich habe über inter* Personen gelesen, was intersex bedeutet und wie sich das äußert. Aber ich war nie bei einer*einem Gynäkologin*en. Ich habe mich nie getraut. Und ich dachte nicht, dass das, was ich erlebe, ausreicht, um mich inter* zu nennen.

10 Jahre lang habe ich immer wieder daran gedacht. Hatte eine oder zwei Geschlechtsidentitätskrisen und hatte es immer im Hinterkopf: wenn ich inter* wäre, würde das alles erklären. Wenn ich inter* wäre, könnte ich endlich Ruhe finden.

Und dann, auf einmal, hatte ich den Zettel in der Hand. Auf einmal hatte ich die Legitimation, die ich mir immer gewünscht hatte. Nicht, dass meine Ärzt*innen es je so genannt haben. Aber ich habe Gemeinschaft gefunden. Ich hab mich getraut, einem Server beizutreten, mit den Leuten zu sprechen, denen ich lange gefolgt habe. Keine*r von ihnen wollte einen Beweis – ich wurde mit offenen Armen aufgenommen.

Es ist nicht leicht, Community zu finden. Viele inter* Personen wissen ein Leben lang nicht, dass sie es sind. Anderen wird es absichtlich verschwiegen. Nicht alle inter* Personen suchen nach Community. Doch, die, die ich gefunden habe, hätten mich auch vor 10 Jahren schon aufgenommen, wenn es die Gruppen da gegeben hätte.

Wie ich am Anfang gesagt habe, bin ich vieles außer inter*. Und ich will auf keine meiner Eigenschaften reduziert werden. Aber ich kann ehrlich sagen, dass meine inter* Identität das ist, was mir am meisten Freude, am meisten Freiheit, am meisten Community gebracht und am meisten offenbart hat. Trotz all dem Schmerz, der Ablehnung, der Marginalisierung – ich würde es um nichts in der Welt ändern.

Die inter* Menschen, die ich getroffen habe, mit denen ich Freundschaften geschlossen habe, die meine tausend Fragen beantwortet haben und mir tausend Fragen zurückgestellt haben – zu euch möchte ich sagen, dass ich euch liebe. Ich liebe über alles, dass ihr mir die Augen geöffnet habt, dass ihr mir einen Platz zum dazugehören gegeben habt, dass ich mit euch lachen und weinen kann, dass es nie langweilig mit euch wird, und dass ich eine ganz neue Art mit euch gefunden habe, ein Mensch zu sein.

Manchmal fühlt es sich an, als wären wir in der Matrix aufgewachsen und hätten dann einen Weg gefunden, das Ganze zu durchschaun. Es wirkt so absurd, dass wir Babys Geschlechter zuteilen. Es wirkt absurd, dass unser Pass einen Buchstaben drinstehen haben muss, der auch noch etwas über uns aussagen soll. Es wird absurd, dass wir so oft sexuelle Orientierung auf Genitalien reduzieren. Dass wir uns eine Toilette aussuchen sollen, als ob wir nicht alle gleichermaßen aufs Klo müssen.

Wir sind so unsichtbar. Es wird mir bewusst, wenn ich Tage wie diese plane, und keine Musik finde die speziell für uns gemacht ist, oder gar im Entstehungsprozess an uns gedacht hat. Wenn ich Infomaterialien brauche, wenn ich online nachsehe, was es sonst alles gibt. Ich möchte hier nochmal die unglaublich wichtige Arbeit von VIMÖ, VARGES und Plattform Intersex unterstreichen, die in Österreich so dringend notwendig ist.

Aber wir sind trotzdem hier, und ich habe ganz viel Unterstützung, und das macht mich glücklich.

Meine liebsten und schönsten Tage sind die, an denen ich mit anderen Menschen, die das durchschaut haben, Zeit verbringe. Ob trans, nicht-binär, inter*, queer, oder nichts davon; Menschen, die hinter den Vorhang gesehen haben und sich aktiv gegen dieses System stellen, euch hab ich am liebsten. Mit euch kann ich lachen ohne Angst zu haben, dass der nächste Witz auf meine Kosten geht. Mit euch kann ich über meine tiefsten Gedanken reden ohne Unverständnis zu bekommen. Mit euch kann ich so frei sein, wie ich es will.

Also Danke ich euch allen, die heute hier waren. Ich danke euch, dass ihr mit uns dieses archaische System durchschaut und durchlöchert, mit und kämpft, und mit uns lacht.

Danke!

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