machbar.sinnvoll.kooperativ

Queeres·Chaos·Kollektiv

Schlagwort: Intersex

Intersex Awareness Day 2022 – Dora

Im Folgenden lest ihr einen Beitrag von Dora zu Inter* und Trans Solidarität. Das zugehörige Video findet ihr auch auf YouTube.

Mein Name ist Dora Sellner, ich bin die trans* Sprecherin der SoHo Tirol und ich möchte euch ein wenig über meinen Bezug zu inter* Personen erzählen.

Wie gesagt, ich bin trans*. Als trans* Person – und um das auch mal klarzustellen, das betrifft alle trans* Personen, egal ob trans* Frauen, trans* Männer oder non-binary Personen – sind wir oft einer Frage ausgestellt. Es kommen Leute zu uns und fragen: “Ja Dora, was bist jetzt eigentlich? Bist ein Mann oder eine Frau?” Meine Gegenfrage darauf ist jetzt oft: “Ja, was meinst du jetzt damit?”, woraufhin die beliebte Antwort: ” Ja, auf wen stehst denn ?”, kommt.

Also mir ist nicht bekannt, dass Schwule, Lesben oder bisexuelle Personen weniger Mann oder Frau sind, aber mir wurde auch die Frage gestellt, wie mein schwuler Vater es geschafft habe, vier Kinder zu zeugen, weil als schwuler Mann… keine Ahnung, was die Leute vor sich haben, aber ihr seht welche Fragen mir gestellt wurden.

Dann gäbe es da noch die Frage: “Jetzt rede aber einmal ehrlich, bist du biologisch ein Mann oder eine Frau?” Und immer schwingt mit, weil… nur echte Männer und nur echte Frauen können das machen. Nur echte Männer können Bauabreiter sein und nur echte Frauen dürfen auf das Frauenklo gehen. Und wir haben es heute schon im Beitrag von der VIMÖ gehört, es gab ja von der WHO die Aufklärungskampagne für menstruierende Personen, die sehr sinnvoll war, da sie menstruierende Personen ansprechen wollte und nicht unbedingt Fauen. Weil mich haben sie nicht gemeint haben, aber andere Männer, die menstruieren oder inter* Personen, die menstruieren, waren sehr wohl gemeint. Und dann sage ich dazu, dass es ja auch inter* Personen gäbe, woraufhin man oft als Antwort erhält:

  • “Die sind ja krank.”
  • “Die gelten nicht.”
  • “Die haben halt einen Gendefekt.”
  • “Und überhaupt sind es zu wenige.”

Und deswegen als Frau, als trans* Person:

Liebe inter* Geschwister,
Liebe alle,

inter* Personen sind nicht krank. Inter* Personen haben auch keinen Defekt. Krank ist ein System, in dem wir weiterhin darauf drängen, dass jeder Mensch entweder Mann oder Frau ist und es gibt nichts dazwischen. Defekt ist ein Rechtssystem, dass Eintragungen für inter* Personen vorsieht, aber de facto es ihnen unmöglich macht, sich diesen Eintrag vornehmen zu lassen und zwar immer sagt, es gibt von irgendeiner Gruppe von Personen zu wenige… passts auf, ob nicht ihr irgendwann einmal zu wenige seid. Weil, wenn es zu wenig inter* Personen gibt, gibt es dann auch zu wenig trans* Personen? Gibt es zu wenig bisexuelle, zu wenig homosexuelle Personen? Gibt es zu wenig Nicht-Christen? Gibt es zu wenig Arme? Gibt es zu wenig Alte? Zu wenig Junge? Zu wenig alleinerziehende Personen? Marsha P. Johnson hat es richtig erkannt.

Niemand hat alle Rechte, bis alle alle Rechte haben und in diesem Sinne kämpfen wir gemeinsam für uns alle.

Marsha P. Johnson (1945 – 1992), Drag-Queen und Aktivistin

Freundschaft.

Ein Plädoyer für Queere Perversion

„Not Gay as in Happy, but Queer as in Fuck You“ ist ein Mantra, das ich schon seit meiner Jugend höre – aber erst vor einigen Jahren wirklich verinnerlichen konnte. Mit einer Leidenschaft und einem Trotz, die mein jugendliches Ich gleichermaßen überrascht und begeistert hätten.

Der Satz selbst spielt auf die Geschichte zweier englischer Worte an, die als Überbegriffe für unsere Communities und unsere Befreiungs-Bewegungen benutzt wurden.

Der erste: Gay, auf Deutsch meist mit schwul oder homosexuell übersetzt, wobei schwul nur einen Teil des Wortes ausdrückt und homosexuell seine eigenen Probleme hat. Gay ist ein kurzer und umfassender Begriff für gleichgeschlechtlich romantisch und/oder sexuell orientierte Menschen. Er bedeutete ursprünglich happy, oder glücklich/froh und hat somit – rein semantisch – eine positive Konnotation.

Queer hingegen wurde vor dem 20. Jahrhundert hauptsächlich im Kontext von seltsam, komisch, falsch verwendet und hat später auch pervers, unnatürlich impliziert. Also bestenfalls neutral, jedoch eher sehr negativ behaftet. Das ist einer der Aspekte, den Menschen – auch Angehörige der Community – heute kritisieren. Warum nennen wir uns so? Queer ist eine Beleidigung, ein Wort, das gegen uns verwendet wird.

Genau, das ist es – so wie jedes Wort, das uns jemals beschrieben hat. Ich wette, dass niemensch ein Wort finden kann, das uns beschreibt, aber nie als Schimpfwort gegen uns benutzt wurde. Deswegen ist die Bedeutung von queer so widerständig. Es lässt sich nicht einordnen, nicht kategorisieren, assimilieren. Und das ist der Kernpunkt – queer wie „ich passe mich dir nicht an“, queer wie „ich scheiß auf deine Norm“, queer wie „ich existiere, das ist in Ordnung so, und du hast nichts dazu zu sagen“, queer wie fuck you.

Deswegen benutze ich queer für mich und meine Community. Es ist das einzige Wort, das uns wirklich alle einschließen und gleichzeitig nicht begrenzen kann. Queere Identität ist ihr eigenes Biest, mit Nuancen und Widersprüchen. Und sie passt nirgendwo rein, ohne anzustoßen.

Das ist für viele von uns so. Ich bin eine fette inter*, nicht-binäre trans Person, die in der Punkszene groß geworden ist und habe zwar schon früh meine lesbische Identität entdeckt, jedoch lange genug den Rest nicht verstanden. Selten fühlte ich mich so gesehen wie unter anderen Freaks, die aus welchem Grund auch immer – Konsum, Aussehen, politische Einstellung, Queerness, Behinderungen, etc – unerwünscht waren. Viel des queeren Erstkontakts waren Butch Lesben, die in ihrer eigenen Community schräg beäugt wurden, Cosplayer die sich dezidiert als transsexuell bezeichneten, Drag Queens, Furries, junge Queers mit bunten Haaren oder wie wir uns damals nannten: Dyklings (Anm.: von Ducklings (Entenküken) und Dyke (eng. Selbstbezeichnung und Schimpfwort für Lesben)). Ich wünschte heute, ich hätte mich nicht so sehr abschrecken lassen und mir viel mehr Zeit mit Butch Lesben genommen, weil deren Gender-non-conformity so etwas Kämpferisches und Anziehendes hat. Viele dieser Gruppen hatten wenig Möglichkeit, sich anzupassen, selbst wenn wir es gewollt hätten.

Ich habe schon herausgestochen, bevor ich mir das erste Mal die Haare abgeschnitten habe. Ich war schon immer unerwünscht.

Doch je mehr Länder sich zumindest Themen wie Ehe für Alle annehmen, desto mehr Akzeptanz gibt es, und desto mehr Chancen kommen auf, sich anzupassen. Auf Englisch wird es Respectability Politics genannt, ein fachübergreifendes Konzept, das sich damit beschäftigt, zu welchen Standards marginalisierte Gruppen gehalten werden, um scheinbar akzeptiert zu werden. Es wurde als erstes von Evelyn Brooks Higginbotham im Rahmen von Black Liberation und Frauenbewegungen so benannt.

Unzählige Beispiele können dafür in verschiedensten Kontexten genannt werden – eine kurze Perspektive im Kontext von Anti-Black Rassismus findet ihr in The Rise of Respectability Politics von Fredrick C. Harris

Für queere Menschen, oder eher LGBT+ Menschen, sieht das meist so aus: dünne bzw. trainierte, weiße, konventionell attraktive Menschen zeigen, wie normal sie sind. Dass sie sind wie alle anderen, nur dazugehören wollen, nicht zu weit aus der Box raustreten, und diese hässlichen, unangepassten, anstößigen Queers mit ihrer sichtbaren Nicht-Konformität und Kinks und so weiter ja genauso doof und übertrieben finden. Ich will mich hier nicht über andere queere Menschen auslassen; es ist ein Schutzmechanismus, den Minderheiten überall schon lange nutzen, um selbst aus der Schusslinie zu kommen.

Von solchen Gefühlen her kommen auch Diskussionen, was denn bei der Pride angebracht ist, ob Kink einen Platz haben darf, und wer sich alles queer nennen darf. Ich war vor nicht allzu langer Zeit selbst nicht sicher, wie ich dazu stehen soll, welches Image wir als Community nach draußen projizieren wollen. Aber das ist eine Falle. Es ist toxisch für unsere Gemeinschaft, unseren Kampf und uns selbst. Es ist schlicht und einfach ahistorisch. Jede queere Bewegung lebte schon immer von denen, die am Rande oder ganz außerhalb der (feinen) Gesellschaft stehen. Leather Daddies, Dykes on Bikes, Kinksters, Crossdresser, Transsexuelle; ohne einander hätten wir heute nicht die Rechte, die wir haben. Und heute wollen wir sie rauswerfen, weil sie sich auf Social Media nicht so gut machen.

Für alle, die sich noch nicht sicher sind, vor allem junge Menschen: hört mir gut zu. Bedingte Akzeptanz ist keine Akzeptanz. Wir sind nie sicher, wenn unsere Existenz nur dann erlaubt ist, solange wir gewisse Grenzen nicht überschreiten. Und damit meine ich explizit die Leute, die bei euch teils Unbehagen verursachen. Menschen in vollem Kink Get-Up bei der Pride, in Fursuits, trans Menschen die nie Passing haben werden, die sich „cringey“ auf Social Media verhalten, hysterisch werden, psychische Erkrankungen, Neurodivergenzen oder Behinderungen haben, sich stereotypisch und „dramatisch“ verhalten, die konsumieren oder Sexarbeit machen. Alle, über die die Gesellschaft auch heute im besten Fall aktiv schweigt. Es ist ok, wenn ihr mal private Berührungsängste habt. Es ist auch in Ordnung, sich manchmal unwohl zu fühlen. Aber das darf nie darin ausarten, die verletzlichsten von uns auszuschließen und unsere Identitäten zu bereinigen zu versuchen, damit sie möglichst leicht verdaulich sind.

Queer ist absichtlich ein Wort, das keine genauen Grenzen hat. Ich werde sicher niemensch aufzuschlüsseln versuchen, was genau queer ist, ab wann Nicht-Monogamie oder Kink da reinfällt, und wer bei der Pride dabei sein darf. So viele wir auch sind, und so viel einfacher die Dinge geworden sind: wir sind von derselben erstickenden Normativität betroffen, die uns am liebsten ganz weg hätte. Und meint nicht, dass ihr nicht die nächsten wärt, wenn die anderen wegillegalisiert worden sind. Wir sehen es gerade in den USA; zuerst Drag Queens, als nächstes werden wieder alte Sodomie-Verbote (Anm.: Sodomie ist eine sehr abfällige Bezeichnung für Analsex, primär auf Sex zwischen Männern bezogen) in die politische Diskussion zurückgeholt.

Auf eine Weise queer zu sein, die viele einfach nicht verstehen und nicht als schön oder ansehnlich wahrnehmen, braucht mehr Mut als die meisten in ihrem Leben jemals aufbringen werden. Authentisch mensch selbst zu sein, auch wenn die Leute lachen und auf mensch spucken, ist einfach nur Punk. Deswegen werde ich mich jederzeit lieber zu den Freaks gesellen als in die „gehobene“ Gesellschaft. Die Freaks sind sowieso unendlich sexier. Und ich hoffe sehr, dass auch ihr nochmal tief in euch schaut und beim nächsten Pride daran denkt:

Gay oder Queer?

So oder so, fick deine Norm.

All-Gender Toiletten

Statement zur aktuellen Debatte um genderneutrale Toiletten an der Uni Innsbruck

Wie viele von euch bestimmt schon mitbekommen haben, hat es in den letzten Tagen eine Aktion von unbekannten Personen gegeben, die genderneutrale Beschilderung an Universitätstoiletten angebracht haben. Auf Social Media wurden Bilder von diesen Schildern gepostet, woraufhin die Uni Innsbruck dazu Stellung bezogen hat. Hier findet ihr diese Stellungnahme, um euch selbst ein Bild zu machen. Viele Personen haben diesen Anlass genutzt, um negative Aussagen über trans und nicht-binäre Personen zu tätigen.

Genderneutrale Beschilderung an einer Universitätstoilette

Wir wollen uns der Debatte nicht anschließen, sondern in unserem Statement auf das eigentliche Thema zurückkommen und betonen, weswegen geschlechtsneutrale Toiletten notwendig und sinnvoll sind. Der Gang auf die Toilette sollte für alle Menschen unkompliziert, in einem angemessenen Zeitfenster möglich und vor allem sicher sein. Trans, nicht-binäre und inter* Personen sowie Menschen, die nicht eindeutig feminin bzw. maskulin aussehen werden jedoch häufig verbal beschimpft und Opfer von Übergriffen, wenn sie eine der binär betitelten Toiletten benutzen.
Um allen Menschen also ein sicheres WC zu gewähren, sollte es ausreichend Optionen für alle geben. Es ist die erste und wichtigste Priorität, allen Menschen, unabhängig vom Geschlecht, den sicheren und unkomplizierten Gang zur Toilette zu ermöglichen. Ausreichend geschlechtsneutrale Toiletten sind der einfachste Weg, dies umzusetzen. Dass dies auch möglich ist, zeigt beispielsweise die Universität in Wien, die bis dato 22 All-Gender Toiletten an ihren Standorten eingeführt hat (hier die Infos dazu). Außerdem findet ihr hier einen Leitfaden der ÖH, der das Thema näher aufschlüsselt.

Unsere Forderung

Öffentliche Toiletten sind Voraussetzung, um in öffentlichen Räumen teilnehmen zu können. Ein Mangel daran bedeutet die Verdrängung aus dem öffentlichen Raum. Diesen Mangel auszugleichen ist ein kleiner Schritt, der schnell und unkompliziert durchgeführt werden kann und das Leben vieler Menschen stark vereinfacht.
An der Universität Innsbruck sind bisher 4 Toiletten offiziell geschlechtsneutral beschildert. Insgesamt gibt es jedoch 16 Gebäude mit 200 Toiletten. Das reicht nicht annähernd aus! Wir fordern deswegen: ausreichend All-Gender Toiletten, um den Gang zum WC für alle einfach und sicher zu machen.

Intersex Awareness Day – Geschichten aus einem unsichtbaren Alltag

Anlässlich des Intersex Awareness Days am 26. Oktober erschien ein Gastbeitrag einer inter* Person im FUQS Blog darüber, wo Intersex überall unsichtbar ist und warum wir Intersex Awareness weiterhin brauchen.

Begrifflicher Hintergrund

Die Begriffe Intersex oder Intergeschlechtlichkeit stammen aus dem medizinisch-pathologisierenden Diskurs , werden aber auch zunehmend von inter* Personen als empowernde Selbstbezeichnung reklamiert.1 Sie sind Überbegriffe für eine Vielzahl an „untypischen“ Formen der Entwicklung jener Körperanteile, die gesellschaftlich als vergeschlechtlicht betrachtet werden. Die Begriffe zeigen gleichzeitig, dass ein binäres Geschlechtermodell nicht nur gesellschaftlich problematisch, sondern auch biologisch falsch ist, bleiben diesem aber dennoch verhaftet, weil sie nur in Bezug zu diesem Modell funktionieren.2

Impressionen aus Ronja’s Alltag „zwischen Geschlechtern“

Das Bewusstsein für unsere Erfahrungen, unsere Traumata, unsere Anliegen und unser Dasein lässt selbst in progressiven Kreisen noch zu wünschen übrig. Wir seien so wenige, eine statistische Anomalie, es nicht wert, berücksichtigt zu werden. Es wolle uns niemand eine Identität auferlegen oder uns “zwingen”, uns als inter*, queer, “anders” zu definieren. Unsere Variationen seien nur einzelne Krankheitsbilder, nicht miteinander verbunden, “behandelbar”. Selbst dort, wo Wohlwollen und Solidarität da sind, herrscht Unsicherheit und mangelndes Wissen. Nichts davon ist die Schuld einzelner Personen, sondern der Ausdruck unseres allmächtig scheinenden Zweigeschlechtersystems, in dem alles außerhalb von cis Mann und cis Frau benachteiligt bis völlig verleugnet wird.

Worüber nicht gesprochen wird

Ich möchte heute nicht über meine Variation sprechen. Nicht, weil ich nicht stolz und glücklich über meinen Körper bin, oder Scham damit verbinde; diese habe ich nach langer, harter Arbeit ablegen können; sondern weil es oft das erste und einzige ist, was endogeschlechtliche Menschen über mich wissen wollen. Was da genau los ist, die medizinischen Details, unser Trauma, wie uns wehgetan wurde, warum das ein Problem sei. Deswegen sage ich Menschen nur selten, welche genaue Variation ich habe. Es geht sie nichts an. Ich werde mich nicht mehr rechtfertigen, warum ich denn anders bin, ob meine Abweichung ausreichend ist, oder ich doch gesellschaftlich in eine Box gezwungen werden kann, so wie es medizinisch auch im Jahr 2022 noch immer passiert. Denn selbst heute noch gibt es in Österreich keinen übergreifenden Schutz vor geschlechtsverändernden Eingriffen!

Klicke hier, um weiterzulesen.

Intersex Awareness Day 2022 – Ronja – Inter* Sein und Aktivismus

Im Folgenden lest ihr Ronjas Beitrag zum Intersex Awareness Day 2022. Dey spricht über deren Erfahrungen mit Inter* Sein, Community und Aktivismus. Ihr könnt diesen Beitrag auch auf Youtube finden.

Ich bin Ronja, ich bin 28, ich bin Wassermann, liebe Katzen und vegetarisches Essen, und ich bin inter*.

Diagnostiziert wurde ich mit ca. 24 Jahren. Natürlich nicht als inter*, sondern mit meiner Variation. Und hätte ich es nicht selbst gewusst, dann hätte mir auch niemand gesagt, dass ich inter* bin.

Aber ich wusste es, weil ich es seit ich ein Kind bin zu spüren bekommen habe. Ich war größer, haariger, muskulöser, verschwitzter als meine Klassenkameradinnen. Meine Pubertät verlief nicht so wie erwartet. Und ich wurde gnadenlos gemobbt. Als Frau akzeptiert wurde ich ohnehin nicht, nicht von gleichaltrigen – und selbst auf queeren Parties wurde mir ungefragt an die Brüste gegriffen um zu testen, ob sie echt sind.

Zum Glück war ich ein internet-Kind – ich habe viel Zeit auf Foren und in den Ecken, wo die Freaks sich rumtrieben verbracht. Ich habe gesucht und gesucht, was denn nun der Grund für alle meine Eigenarten war. Ich habe über inter* Personen gelesen, was intersex bedeutet und wie sich das äußert. Aber ich war nie bei einer*einem Gynäkologin*en. Ich habe mich nie getraut. Und ich dachte nicht, dass das, was ich erlebe, ausreicht, um mich inter* zu nennen.

10 Jahre lang habe ich immer wieder daran gedacht. Hatte eine oder zwei Geschlechtsidentitätskrisen und hatte es immer im Hinterkopf: wenn ich inter* wäre, würde das alles erklären. Wenn ich inter* wäre, könnte ich endlich Ruhe finden.

Und dann, auf einmal, hatte ich den Zettel in der Hand. Auf einmal hatte ich die Legitimation, die ich mir immer gewünscht hatte. Nicht, dass meine Ärzt*innen es je so genannt haben. Aber ich habe Gemeinschaft gefunden. Ich hab mich getraut, einem Server beizutreten, mit den Leuten zu sprechen, denen ich lange gefolgt habe. Keine*r von ihnen wollte einen Beweis – ich wurde mit offenen Armen aufgenommen.

Es ist nicht leicht, Community zu finden. Viele inter* Personen wissen ein Leben lang nicht, dass sie es sind. Anderen wird es absichtlich verschwiegen. Nicht alle inter* Personen suchen nach Community. Doch, die, die ich gefunden habe, hätten mich auch vor 10 Jahren schon aufgenommen, wenn es die Gruppen da gegeben hätte.

Wie ich am Anfang gesagt habe, bin ich vieles außer inter*. Und ich will auf keine meiner Eigenschaften reduziert werden. Aber ich kann ehrlich sagen, dass meine inter* Identität das ist, was mir am meisten Freude, am meisten Freiheit, am meisten Community gebracht und am meisten offenbart hat. Trotz all dem Schmerz, der Ablehnung, der Marginalisierung – ich würde es um nichts in der Welt ändern.

Die inter* Menschen, die ich getroffen habe, mit denen ich Freundschaften geschlossen habe, die meine tausend Fragen beantwortet haben und mir tausend Fragen zurückgestellt haben – zu euch möchte ich sagen, dass ich euch liebe. Ich liebe über alles, dass ihr mir die Augen geöffnet habt, dass ihr mir einen Platz zum dazugehören gegeben habt, dass ich mit euch lachen und weinen kann, dass es nie langweilig mit euch wird, und dass ich eine ganz neue Art mit euch gefunden habe, ein Mensch zu sein.

Manchmal fühlt es sich an, als wären wir in der Matrix aufgewachsen und hätten dann einen Weg gefunden, das Ganze zu durchschaun. Es wirkt so absurd, dass wir Babys Geschlechter zuteilen. Es wirkt absurd, dass unser Pass einen Buchstaben drinstehen haben muss, der auch noch etwas über uns aussagen soll. Es wird absurd, dass wir so oft sexuelle Orientierung auf Genitalien reduzieren. Dass wir uns eine Toilette aussuchen sollen, als ob wir nicht alle gleichermaßen aufs Klo müssen.

Wir sind so unsichtbar. Es wird mir bewusst, wenn ich Tage wie diese plane, und keine Musik finde die speziell für uns gemacht ist, oder gar im Entstehungsprozess an uns gedacht hat. Wenn ich Infomaterialien brauche, wenn ich online nachsehe, was es sonst alles gibt. Ich möchte hier nochmal die unglaublich wichtige Arbeit von VIMÖ, VARGES und Plattform Intersex unterstreichen, die in Österreich so dringend notwendig ist.

Aber wir sind trotzdem hier, und ich habe ganz viel Unterstützung, und das macht mich glücklich.

Meine liebsten und schönsten Tage sind die, an denen ich mit anderen Menschen, die das durchschaut haben, Zeit verbringe. Ob trans, nicht-binär, inter*, queer, oder nichts davon; Menschen, die hinter den Vorhang gesehen haben und sich aktiv gegen dieses System stellen, euch hab ich am liebsten. Mit euch kann ich lachen ohne Angst zu haben, dass der nächste Witz auf meine Kosten geht. Mit euch kann ich über meine tiefsten Gedanken reden ohne Unverständnis zu bekommen. Mit euch kann ich so frei sein, wie ich es will.

Also Danke ich euch allen, die heute hier waren. Ich danke euch, dass ihr mit uns dieses archaische System durchschaut und durchlöchert, mit und kämpft, und mit uns lacht.

Danke!

Intersex Awareness Day 2022 – Nils – Inter* Allies

Im Folgenden lest ihr einen Beitrag zu Inter* Solidarität von unserer Kundgebung am 26.10.2022 in Innsbruck. Ihr könnt diesen Beitrag von Nils gelesen auch auf Youtube finden.

Wie können wir inter* Allies sein?

Inter* Menschen machen ca. 2-5% der Weltbevölkerung aus, mit einigen Schätzungen die auch höher sind. Das sind mehr Menschen, als es uns vorkommt – mehr als rothaarige Menschen, wesentlich mehr als Österreicher*innen. Trotzdem sind inter* Personen in so vielen Bereichen noch unsichtbar und im Vergleich zu vielen anderen Gruppen eher klein. Also, wie können wir Solidarität zeigen und Allies sein?

Akzeptiere Zweigeschlechterdenken nicht und spreche es an

Wenn Menschen über „Mann und Frau“ reden, diese als Gegensätze darstellen, sie als zwei gegensätzliche Gruppen ohne „Zwischenstufen“ sehen – sprich das an! Lass es nicht einfach so stehen, sondern gib Menschen zu denken. Wir als Menschen sind so viel vielfältiger als unser Zweigeschlechtersystem uns einreden will!

Konzentriere dich nicht nur auf Variationen und Körperlichkeiten

Ja, inter* hat immer eine körperliche Komponente – aber inter* Erfahrungen und Lebensrealitäten sind um einiges vielfältiger als das. Inter* Menschen werden oft auf ihre Körper und Variationen reduziert, vor allem im medizinischen Bereich. Aber unsere Neugierde rechtfertigt nicht, invasive Fragen zu stellen und uns anzumaßen, alles über eine inter* Person wissen zu dürfen. Also denkt erstmal drüber nach, bevor ihr Fragen stellt – ob ihr euch damit wohlfühlen würdet, und ob ihr die Person überhaupt gut genug kennt um intime Fragen zu stellen.

Denk darüber nach, wann und wie oft du über inter* Personen sprichst

Redest du nur dann über inter* Personen, wenn es darum geht, im Internet einen Streit zu gewinnen? Benutzt du die Existenz von inter* Personen, nur um andere Identitäten zu rechtfertigen? Wenn wir über inter* Personen sprechen, dann sollten wir auch darüber nachdenken, warum. Inter* Personen sind keine Schachfiguren! Natürlich sind queere Geschlechter und Identitäten miteinander verbunden, aber wenn wir über inter* Personen sprechen sollten wir auch für sie einstehen – nicht nur dann, wenn es praktisch für uns ist.Informier dich!
Hast du schonmal auf der Seite von VIMÖ, Plattform Intersex, oder OII reingeschaut? Es gibt viele Materialien über Variationen, inter* Leben, inter* Akzeptanz und Solidarität. Wir haben hier auch eine Auswahl an Broschüren, die ihr euch anschaun könnt.

Hört inter* Personen zu

Am meisten lernen können wir von inter* Personen selbst. Inter* Personen sind eine wahnsinnig diverse Gruppe, mit verschiedenen Erfahrungswerten und Perspektiven. Natürlich können wir nicht alles über inter* von einer einzigen Person lernen, doch je mehr wir uns miteinander austauschen desto besser können wir einander verstehen. Es gibt auch zahlreiche Videos, Talks und ähnliches auf Youtube, die ihr euch ansehen könnt.

Stellt eure eigenen Muster in Frage

Es ist wichtig, dass wir das hinterfragen, was wir gelernt haben. Inter* Menschen werden oft unsichtbar gemacht, und jede*r von uns ist im Zweigeschlechtersystem aufgewachsen, das uns Unwahrheiten als Fakten verkauft hat. Das ist nicht unsere Schuld, aber es ist unsere Verantwortung, das zu hinterfragen. Warum werden Mann und Frau als einzige Möglichkeiten verbreitet? Wen verletzen Witze über kleine Penisse wirklich? Warum ist es so tabu, über unsere Körper und deren Entwicklung zu sprechen? Wieso tun viele so, als wären 2-5% der Bevölkerung vernachlässigbar? Wieso ist es immer noch akzeptierte Praxis, Babys Geschlechter zuzuordnen und sie sogar medizinisch zu verändern, wenn das nicht einfach möglich ist?

Danke, dass ihr heute mit uns da seid und für inter* Akzeptanz kämpft. Es liegt noch ein langer Weg vor uns, aber gemeinsam sind wir füreinander und miteinander stark!

26.10. Intersex Awareness Day

Anlässlich des 💛💜 Intersex Awareness Day 💛💜 organisieren wir eine Kundgebung!

Euch erwartet neben wichtigen, spannenden und interessanten Redebeiträgen auch viel Infomaterial und natürlich Musik.

Wo? Vorplatz des Landestheaters Innsbruck aka Ni-Una-Menos-Platz
Wann? 26.10.2022 14 – 16 Uhr

Wir freuen uns schon riesig auf Euer Kommen und Engagement!

Euer Queeres Chaos Kollektiv 🌈

Ein Bild von einer Person, die eine Inter* Flagge (gelb mit einem lila Kreis in der Mitte) hochhält. In einer länglichen lilablauen Box am oberen linken Rand ist weißer Text: "Wir demonstrieren!"
In einer transparenten lila Box mittig im Bild ist weißer Text: "Der Intersex Awareness Day steht an! Wir veranstalten eine Kundgebung vor dem Landestheater. Wann? 26.10. 14:00-16:00 Uhr
Wo? Ni-Una-Menos-Platz
Euch erwarten ...
...wichtige + interessante Redebeiträge
...viel Infomaterial
...Musik"
Unten rechts im Bild ist das QCK-Logo, ein Kreis in Regenbogenfarben mit schwarzer Schrift: "Queeres Chaos Kollektiv"

++++english version++++

We are organizing a demonstration regarding to the 💛💜 Intersex Awareness Day 💛💜!

Besides important, exciting and interesting speeches, there also will be a lot of info material and of course music.

Where? Courtyard of the Landestheater Innsbruck aka Ni-Una-Menos-Platz
When? 26.10.2022 2pm-4pm

We are looking forward to see u there!

Your Queer Chaos Collective 🌈

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén