Im Folgenden lest ihr einen Redebeitrag, der bei der Trauerkundgebung für Malte am 07.09.2022 von Ronja für das QCK gehalten wurde.
Wir sind heute hier, um Malte zu gedenken, der gestorben ist, nachdem er zwei lesbische Frauen vor einer homo- und transphoben Attacke beschützt hat und der Täter ihn brutal zusammengeschlagen hat.
Allem voran ist es ein schrecklich trauriger Anlass. Jedes Mal, wenn jemand derart aus unserer Community gerissen wird, spüren wir die Schockwellen überall. Malte war einer von uns, und sein Verlust schmerzt, auch wenn wir ihn nicht persönlich gekannt haben. Er war und wird immer Teil unserer Familie sein und wir werden ihn in Erinnerung behalten.
Ich möchte den heutigen Anlass nutzen, um über uns zu sprechen, trans Menschen, und unsere Community zu erinnern und zu ermahnen, uns nicht zu vergessen, unsere Anliegen und unsere Beiträge zum queeren Aktivismus zu würdigen und uns darauf zu besinnen, warum wir eine Community sind.
Die Stonewall Riots im Jahr 1969 werden weitgehend als Beginn der queeren Bewegung angesehen. Wir hören oft die Phrase „The first Pride was a Riot“, und es stimmt – der erste Pride war keine Parade mit Sponsoren und politischer Absegnung, sondern ein Aufstand von queeren Menschen, die sich gegen die Polizei wehrten. Allen voran standen trans Frauen of Color, wie Marsha P. Johnson und Sylvia Rivera. Aktivistinnen, die auch später unter anderem durch die Gründung von Street Transsexual Action Revolutionaries für unsere Community und vor allem die Menschen, die es am schwersten haben, einstanden.
Doch es hat nicht da angefangen. Queere Menschen gibt es schon seit es Menschen gibt, und es waren oft trans und inter* Personen, oder wie sie in verschiedenen Zeiten genannt wurden, Transsexuelle, Hermaphroditen, Drag Artist:innen, Shaman:innen, religiöse Figuren, und Freaks, die uns sichtbar gemacht haben.
Sich verstecken zu können mag kein Privileg sein, doch vor allem wenn wir unerwünscht sind, kann es ein Schutz sein. Ein Schutz, den viele trans Personen nicht haben und nie haben werden. Um authentisch zu leben und zu lieben sind wir meist gezwungen, uns der Welt zu offenbaren und ständig über unsere Schulter zu schauen, ob sich gerade jemand einbildet, uns eine Lektion zu verpassen. Selbst bevor ich mich geoutet habe hatte ich als inter* Person keine Chance, den Belästigungen, Übergriffen und der Gewalt zu entkommen, die ich nicht einmal einordnen konnte. Und jede Form von Queerphobie ist Gewalt!
Es ist nicht sinnvoll, zu vergleichen, wer es am Schlimmsten hat. Aber ich will euch ins Gedächtnis rufen, dass wir als trans Personen schon immer für alle von uns gekämpft haben. Dass wir alles riskieren, um unsere Community zu schützen und für unsere Rechte zu kämpfen. Dass wir unsere Türen für alle die öffnen, die nicht wissen, wohin. Dass wir Räume schaffen und uns sichtbar machen, egal, ob es dem Staat und der Gesellschaft passt.
Deswegen schmerzt es umso mehr zu sehen, wenn sich Organisationen von trans Personen distanzieren. Der Anstieg von trans-exclusionary radical feminism. Der Ausschluss von trans Frauen aus Fraueneinrichtungen. Die Trivialisierung der Diskriminierung von trans Männern, die oft dazu führt, dass sie sich als Frauen einordnen müssen, um den Schutz zu bekommen, den sie brauchen. Das Lächerlichmachen von nicht-binären Personen, die Stereotypisierung, die ständige Frage nach dem „echten Geschlecht“. Die völlige Vergessenheit, in die inter* Personen oft geraten. Die Diskussion um Passing, als ob es nicht für viele um die eigene Sicherheit geht, und gleichzeitig, als ob wir alle cis aussehen wollen würden, und Passing einfach erreichen könnten. Ich habe zu viele TERFs online gesehen, die Malte misgendern, ihn als Frau bezeichnen und seine Transidentität völlig ignorieren, seinen Tod instrumentalisieren.
Es tut so weh, wenn wir alles in unsere Communities stecken, und dafür bei erster Gelegenheit rausgeschmissen werden. Wir sind nicht alle das perfekte Bild der trans Person, die es seit der Kindheit weiß und dann die komplette Transition macht, bis sie in die cis-Schablonen passt, respektabel ist.
Ich sehe immer wieder, wie wir online darüber diskutieren, wer welche Worte benutzen darf, was trans sein bedeutet, wer in welche Räume darf, was jetzt richtig und falsch ist. Und es ist schön, dass wir inzwischen die Möglichkeit haben, über solche Nuancen zu sprechen. Aber ich appelliere heute an euch: vergesst nicht, dass wir EINE Community sind.
Wir brauchen einander. Alle von uns; auch die, die nicht passen, die die neuesten Begriffe nicht kennen, die nicht cis aussehen und sein wollen, die Geschlecht als Spielplatz ansehen, die Geschlecht komplett ablehnen. Die Sexarbeiter:innen, die mit Behinderungen, die Obdachlosen, Abhängigen, Kriminellen. Die Freaks, die Verrückten, die Revolutionär:innen. Alleine schaffen wir es nicht in eine Welt, in der wir wirklich ohne Angst frei leben können.
Wir müssen uns nicht immer verstehen, aber wenn es drauf ankommt, müssen wir füreinander einstehen. Räume für uns ALLE schaffen, auch die, die nicht in die vorhandenen Boxen passen. Deswegen liebe ich das Wort queer – wir sind alle darin enthalten. Egal, ob wir fünf Identitätslabel haben oder kein einziges.
Ich wünsche mir, dass wir dem Wort wieder gerecht werden. Dass wir niemanden ausschließen, sondern uns zusammentun und gemeinsam für eine bessere Welt kämpfen. Dass wir füreinander da sind, aufeinander schauen, vor allem auf diejenigen von uns, die keine Familie haben, kein Umfeld, die am Rand der Gesellschaft stehen. Ich wünsche mir Queer Joy, Liebe und Zusammenhalt. Und ich wünsche mir, dass wir am Trans Day of Remembrance keine Namen mehr verlesen müssen.
Danke, Malte, dass du Teil unserer Familie bist. Danke, dass du für uns eingestanden bist. Es tut mir unendlich Leid, dass du so aus dem Leben gerissen wurdest. Rest in Power, und ich hoffe, du findest Frieden.